„Die besten Entdeckungen macht man auf Wanderungen und Streifzügen durch unbekannte Orte.
Also machte ich mich auf den Weg: Mit der S-Bahn von Dortmund Richtung Osten. Dort wo der Blick sich weitet bin ich ausgestiegen: Unna-Massen.
Wiesen, Bäume am Horizont.
Eine Strasse ohne Hinweisschild weckt meine Neugier. Durch ein Waldstück, ein verwildeter Fussballplatz, riesige Parkplätze ohne Autos, ein Denkmal für die Opfer von Flucht und Vertreibung und dann lange Strassenzüge mit leerstehenden gepflegten Wohnhäusern. Die Rasenflächen frisch gemäht.
Seltsame Stille. Nirgendwo Menschen. Eine Geisterstadt. Auf dem Lageplan an der Kindertagesstätte Hinweise auf Spielplätze, Ärzte, Ladenzeile, Begegnungsstätte, Verwaltung und Unterkunftsbereiche. Der Supermarkt in der Mitte der kleinen Stadt ist zu einer Art Kiosk mutiert. Dort erfahre ich dass sich hier einmal die ehemalige „Landesstelle für Aussiedler, Zuwanderer und ausländische Flüchtlinge in NRW“ befand. Seit vier Jahren stünden die Häuser - im Besitz des Landes NRW; leer und keiner wisse warum.
Es zieht mich in den folgenden Wochen und Monaten magisch immer wieder an diesen geheimnisvollen Ort.
Irgendwann im Sommer passiert etwas womit niemand gerechnet hat: inmitten der kleinen Stadt werden plötzlich wieder Flüchtlinge untergebracht. Erst sind es 20, dann 80, 250, dann 300 und heute bis zu 500. Sie kommen aus den Bürgerkriegsgebieten und Armutsregionen dieser Welt. Menschen, die einen weiten Weg hinter sich haben um Angst, Not und Gewalt zu entkommen in der Hoffnung in Deutschland eine bessere Zukunft: Sicherheit, Freiheit, eine Unterkunft, Essen, Arbeit – zu finden. Sie haben viel zurückgelassen: Angehörige, die Heimat – oft ihre gesamte Habe. Und sie bringen viel mit: ihre Kultur, die Art zu lachen, ihre Lebensfreude und Hoffnung und die Bereitschaft uns etwas zurückzugeben. Die Zukunft ihrer Kinder könnte auch für uns von Bedeutung sein...
Im Zuge der zunehmenden Flüchtlingsströme und aus Mangel an Unterkunftsmöglichkeiten hat das Land NRW trotz vehementen Protests der Stadt Unna – eine, wie es die Bürokratie nennt: „Ersatzerstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber“ eingerichtet. In der ehemaligen Landesstelle Unna-Massen ist wieder Leben eingekehrt.“
Die Geisterstadt (AT)
Recherchen für einen Kurzfilm 2012
Am östlichsten Rand des Ruhrgebiets nördlich von Unna liegt versteckt, von einem Grüngürtel umgeben, ein idyllisches Städtchen.
Die Siedlung mit frisch renovierten freundlichen Wohnhäusern,
teils mit schönen Balkons und Terrassen, bietet Platz bis zu 4000 Menschen. Einkaufspassage, Arztpraxis, Jugendzentrum, Kulturhaus, Schule mit Turnhalle, Kindertagesstätte, große Spielplätze, Kirche, Rathaus, Krankenhaus, Fußballplatz, Wäscherei, Bushaltestellen, Bibliothek, Telefonzellen, Garagen, Straßenbeleuchtung, Zentralheizung – alles im besten Zustand. Die Rasenanlagen vor den Häusern sind frisch gemäht. In der Nacht brennt die Straßenbeleuchtung.
DOCH ETWAS FEHLT!?
ES GIBT KEINE MENSCHEN AN DIESEM ORT!
Eine seltsam faszinierende Atmosphäre, Stimmung, Stille und Aura schwebt über den leeren Plätzen, Strassen und Wohnhäusern.
DER ZWEITE BLICK:
An den Zufahrtstrassen eigentümliche Hinweisschilder, Überwachungskameras. Eine Gruppe von Securityleuten.
Ab und zu jemand der einen Hund spazieren führt.
Am Abend – nur das Licht der Straßenlaternen und der Telefonzellen.
Die faszinierende Leere: eine Stadt ohne Autos.
Die fehlenden Töne: eine unheimliche Stille. Geräusche werden völlig neu wahrgenommen.
HINTERGRUND:
Drei Denkmäler schmücken die Plätze. Darunter ein Findling mit der Aufschrift: „Den Opfern von Flucht und Vertreibung!“
„2,5 Millionen Menschen aus über hundert Ländern hat die Landesstelle bis heute vorübergehend aufgenommen. Spätaussiedler, Chile-Flüchtlinge, "Boatpeople" aus Kambodscha und Vietnam, Flüchtlinge der Konflikte in Uganda und im ehemaligen Jugoslawien - Unna Massen wurde zu einem "Seismographen" für die Fluchtbewegungen in der Welt. Aufgrund des starken Rückgangs der Einreisewilligen wurde die Landestelle am 30. Juni 2009 geschlossen.“
(Quelle Integrationsbeauftragter NRW)
Der Ort wird aufgrund von Kompetenzschwierigkeiten zwischen Kommune, Bund und Land künstlich in einer Art Schwebezustand gehalten. Seit fast zwei Jahren kostet die kleine Stadt Unterhalt (Bewachung, Instandhaltung, Strom und Heizung) ohne Aussicht auf eine Perspektive. Es finden sich weder neue Mieter noch ein
Vermarktungskonzept. In der Diskussion steht ein völliger Abriss der gesamten intakten Anlage, also die Vernichtung von Millionenwerten Allgemeingut.
Während an den Außengrenzen der EU verzweifelte Flüchtlinge versuchen in die „Festung Europa“ zu gelangen finde ich folgende Meldung (Quelle: Der Westen)
Ehemalige NRW-Landesstelle für Aussiedler in Unna-Massen geschlossen
Zahl der Zuwanderer zuletzt drastisch gesunken !
Nach 58 Jahren hat am Dienstag die ehemalige nordrhein-westfälische Aufnahmestelle für Aussiedler, Zuwanderer und ausländische Flüchtlinge in Unna-Massen endgültig ihre Tore geschlossen. Grund ist die deutlich gesunkene Zahl der Aussiedler, wie das Düsseldorfer Integrationsministerium mitteilte.
Der massive Rückgang der Zuwanderung habe die zentrale Aufnahme von Spätaussiedlern und jüdischen Zuwanderern in Unna-Massen entbehrlich gemacht.
Während vor zehn Jahren noch rund 22.000 Menschen über die Aufnahmestelle nach Nordrhein-Westfalen kamen, waren es 2008 nur noch knapp 1000.
(Quelle: Hellweger Anzeiger)
ES GIBT KEINE FLÜCHTLINGE + ZUWANDERER MEHR ? WARUM? ICH WERDE MIT DIESEM FILM FRAGEN STELLEN.
"Das wird kein Elendslager" muss der Bürgermeister von Massen seine Gemeinde beruhigen, als direkt gegenüber der Bergbausiedlung Korsika eine Aufnahmestelle mit Kindergarten, Schule, Sportplätzen und Krankenstation entsteht. Unna Massen wird zu einem "Seismographen" für die Fluchtbewegungen in der Welt.
2,5 Millionen Menschen aus über hundert Ländern hat die Landesstelle bis heute vorübergehend aufgenommen. Nur noch einige wenige Spätaussiedler und jüdische Zuwanderer wohnen Anfang 2008 in den Unterkünften.
Die Menschenzüge, die unmittelbar oder mittelbar Folgen des Zweiten Weltkrieges gewesen sind, haben ein Ende gefunden: Die Vertriebenen sind längst in Nordrhein-Westfalen integriert, die Bundesrepublik ist wiedervereinigt und fast alle Deutschstämmigen aus Osteuropa und Russland sind, seit der "Eiserne Vorhang" gefallen ist, in die "Urheimat" zurückgekehrt. Die aktuellen Flüchtlingsbewegungen in der Welt spiegelte Unna-Massen nicht mehr. Das "Kompetenzzentrum für Integration" wurde 2009 nach Arnsberg verlegt. Seit Anfang 2009 steht die Landesstelle leer.“
QUELLE: INTEGRATIONSBEAUFTRAGER DES LANDES NRW
„WIR ALS UNION TRETEN FÜR DIE DEUTSCHE LEITKULTUR UND
GEGEN MULTIKULTI EIN – MULTIKULTI IST TOT!“
(Horst Seehofer am 16.10. heute ZDF )
SEEHOFER: „DEUTSCHLAND WILL NICHT ZUM SOUZIALAMT FÜR DIE GANZE WELT WERDEN“
„WER DAS CHRISTLICHE MENSCHENBILD NICHT AKZEPTIERT IST FEHL AM PLATZ“ (MERKEL)
Seit 2008 mehr Auswanderer als Zuwanderer
(Statistisches Bundesamt)
Seit 2008 mehr Auswanderer als Zuwanderer
In Deutschland leben rund 16 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Rund zwei Drittel davon sind seit 1950 zugewandert, der Rest ist in Deutschland geboren. Seit 2008 sind allerdings jährlich mehr Bürger weggezogen als zugezogen.
Im vergangenen Jahr kamen rund 721.000 Menschen nach Deutschland. Das waren sechs Prozent mehr als 2008. Aus der Bundesrepublik weg zogen etwa 734.000 Menschen. Insgesamt gab es 13.000 mehr Auswanderer als Zuwanderer. Im Jahr 2008 lag das sogenannte Wanderungsdefizit sogar bei rund 56.000. In den Jahren 1985 bis 2007 gab es jeweils deutlich mehr Zugezogene als Auswanderer.
So viele Türken wie Amerikaner
Aus der Türkei zogen 2009 insgesamt rund 30.000 Personen nach Deutschland - genauso viele wie aus den USA. Unter den Nicht-EU-Ländern fallen daneben noch Russland (18.600), China (rund 17.000), die Schweiz (gut 14.000) Irak und Indien (mit jeweils etwa 12.000) ins Gewicht. Aus arabischen Ländern im engeren Sinne kamen nur wenige, so zum Beispiel aus dem Libanon 2.800 oder den Vereinigten Arabischen Emiraten 2.400. Unter den Maghreb-Staaten lag Marokko mit 3.800 Zuwanderern vorn, aus Ägypten kamen 2.500, aus Tunesien rund 2.000. Aus ganz Afrika - ein Kulturkreis, den Seehofer so nicht genannt hat - wanderten laut amtlicher Statistik rund 27.400 Menschen zu. Aus Asien kamen 104.800.
"Es ist doch klar, dass sich Zuwanderer aus anderen Kulturkreisen wie aus der Türkei und arabischen Ländern insgesamt schwerer tun. Daraus ziehe ich auf jeden Fall den Schluss, dass wir keine weitere Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen brauchen. Wie werden ohnehin ab Mai nächsten Jahres die EU-Freizügigkeit für Arbeitnehmer aus Osteuropa haben. Den Fachkräftemangel beheben wir nicht durch Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen: Erst einmal müssen wir das hier vorhandene Potenzial ausschöpfen. Ich habe kein Verständnis für die Forderung nach weiterge-hender Zuwanderung aus fremden Kulturkreisen"
Die reinen Zuwanderungszahlen sagen noch recht wenig über die Arbeitsmigration - aber darum ging es CSU-Chef Seehofer nach eigener Klarstellung bei seiner Aussage. Dabei ist die Einwanderung zum Arbeiten streng reguliert. Nur für Akademiker und Spitzenkräfte, die einen Job mit mehr als 66.000 Euro Jahresgehalt nachweislich sicher haben, ist eine Einreise einfach. Sonst gilt nach dem Aufenthaltsgesetz die "Vorrangprüfung" - Ausländerbehörde und Arbeitsagentur schauen akribisch darauf, ob eine freie Stelle nicht an einen Einheimischen oder einen schon hier lebenden Ausländer vergeben werden kann, bevor ein neuer Ausländer einreist.
26.400 Arbeitsmigranten insgesamt
Insgesamt weist eine neue Studie des Bundesamts für Migration zur "Deckung des Arbeitskräftebedarfs durch Zuwanderung" für das Jahr 2009 nur rund 26.400 Arbeitsmigranten aus. Davon kamen aus der Türkei 1.053 (von denen wiederum 825 als "Qualifizierte" geführt wurden und lediglich 157 als "Geringqualifizierte"). Zum Vergleich: Aus den USA kamen dieser Statistik zufolge 3.229 Menschen zum Arbeiten nach Deutschland, aus Indien 3.094 und aus China 2.356. Arabische Länder sind in dieser Statistik nicht aufgeschlüsselt.
Eine Stadt wuchs in der Stadt
Mit einem Konzept, das Modellcharakter erhalten sollte, organisierte das nordrhein-westfälische Sozialministerium in Massen die Flüchtlingsbetreuung neu. Ein Team von Fachkräften, unterstützt von Kollegen der freien Wohlfahrtverbände, der Kirchen und Behörden, half den Zuwanderern bei der Orientierung während ihrer ersten Tage in Nordrhein-Westfalen. Eine an die Bedürfnisse der Flüchtlinge angepasste Infrastruktur ermöglichte kurze Wege bei der Erledigung der notwendigen Formalitäten. So gab gab es vor Ort eine Beratungsstelle des Arbeitsamtes und der Rentenversicherungsträger, eine Außenstelle der Stadtverwaltung Unna und eine Postdienststelle.
Das „Durchgangswohnheim“, so wurde das Lager ab den 1960er Jahren offiziell genannt, wuchs zu einer kleinen Stadt heran mit Kirchen, Schule, Kindergarten, Sportplätzen und einer Geschäftszeile. Freizeiteinrichtungen wie eine Bücherei, das „Haus für alle“ oder die als Festhalle umgebaute ehemalige Gepäckhalle sollten den Aufenthalt erträglicher gestalten.
Nicht immer konnten die Zuwanderer zügig in Aufnahmegemeinden weitergeleitet werden. In den 1950er Jahren mussten die Flüchtlinge wegen der allgemeinen Wohnraumknappheit oft monatelang in den engen Unterkünften ausharren.
Immer gingen alle Kinder der Aufnahmestelle, die schulpflichtig waren, gemeinsam in die angegliederte Gerhart-Hauptmann-Schule an der Buderusstraße. Die einzige Schule in Nordrhein-Westfalen von der aus alle Schulformen angepeilt wurden, ob Grundschule, Förderschule, ob Haupt-, Real-, Gesamtschule oder Gymnasium. 1963 wurde die katholische Kirche St. Hedwig für die Landesstelle eingeweiht. Schon seit 1959 beherbergte das evangelische Bodelschwingh-Haus den Kirchlich-Diakonischen Dienst.
Nach Schließung der Landestelle 2009 wurde dieses Gebäude von einer jüdischen Gemeinde übernommen. Eine Nachfolgenutzung für die anderen Bauten auf der Aufnahmestelle wurde noch nicht gefunden.